28. Februar 2023

Unmögliches wird möglich

Der Schreck saß tief. Wieder einmal war ich zu einem großen Rennen über 1000 km in den Norden gereist, und erneut gab es Probleme mit meiner Ausrüstung. Die gelochte Aluminiumöse, mit der die rechte Tandemskistange an der Deichsel meines Langlaufschlittens befestigt wird, war gebrochen. 

Daraufhin bastelten Carsten und ich mittels einer Seilschlinge eine alternative Befestigung, um sie später außerdem mit Klebeband zu fixieren. Das mußte unbedingt noch getestet werden, zusätzlich zu meinen neuen Ski für den Langlaufschlitten, die in Schweden erstmalig zum Einsatz kommen sollten.

Also fuhren wir zum Skistadion von Mora und drehten ein paar Testrunden inklusive einiger, kurzer Steilrampen und Abfahrten. Dabei behielt ich die neuralgische Stelle immer im Blick, doch es sah gut aus. Trotzdem wollte ich die Konstruktion nicht gleich überstrapazieren, denn der große Einsatz war erst am nächsten Tag geplant. Deshalb packten wir 1,5 Stunden später unseren Krempel wieder ins Auto und fuhren zurück ins Hotel Moraparken.

Der 27.02. begann für Christiane, Carsten und mich sehr zeitig. 1.30 Uhr Aufstehen, 2.00 Uhr Frühstück und gegen drei mit dem Auto zum Busbahnhof. Am Vortag hatten wir nämlich ebenfalls die örtlichen Gegebenheiten ausgekundschaftet, bevor wir uns im Registrierungsbüro des Vasaloppets anmeldeten. Die Leute dort schienen übrigens kurzzeitig etwas überfordert zu sein, als sie plötzlich die Startunterlagen für drei Personen aushändigen sollten, statt - wie offensichtlich erwartet - nur für Christiane und Carsten. Aber auch bei den Hotelangestellten hatte ich den Eindruck, daß sie mich als Teilnehmer des Wasalaufs gar nicht wahrnahmen. Egal - ich erlebe das bei meinen Spezial-Operationen öfter ... 

Das ging dann auch so weiter am Busbahnhof, wo die Sonderbusse für den Transfer der Teilnehmer von Mora zum Startort Sälen bereitstanden. Etwas enttäuscht war ich auch von dem dort eingesetzten Personal, daß sie nicht gleich von sich aus meine Freunde unterstützten, um mich in den Bus zu transportieren. Ich mußte die jungen Männer gezielt auffordern, damit sie wenigstens Carsten beim Aufrichten halfen, der mich schließlich huckepack in den Bus trug. Auch bei einigen anderen Gelegenheiten fiel mir später diese Passivität bzw. offensichtliche Gleichgültigkeit der Leute auf. Einen Blumenstrauß verdienen sich die Schweden damit jedenfalls nicht bei mir.

In Sälen waren meine Freunde ebenfalls Alleinunterhalter, aber dort hatten wir schon Routine. Mehr als eine Stunde hieß es nun noch bis zum Start warten. Glücklicherweise war es über 0°C, obwohl wolkenlos. Um 7.00 Uhr ging es dann los.

Den ersten Anstieg, währenddem die meisten Höhenmeter am Stück überwunden werden mußten und an dessen Ende sich mit ca. 520 m NHN der höchste Punkt der Strecke befand, kamen wir erstaunlich gut und sogar leidlich flott hoch. Diese zwei Kilometer hatte ich nämlich während der Vorbereitung als größten Killer eingeschätzt. Das motivierte.

Kurz darauf kletterte die Sonne hinter den Bergen hervor und vergoldete eine Welt wie aus dem Bilderbuch. Das Glücksgefühl, genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, setzte in uns zusätzliche Kräfte frei. Unter solchen Bedingungen Ski zufahren, war unfaßbar schön! Dieser Tag würde Helden zeugen!

Nach etlichen entspannten Kilometern, erst auf einer Hochebene, anschließend leicht bergab, kam der zweite lange Anstieg zur Raststation Risberg. Dieser setzte uns ganz schön zu, auch weil es schon fast zu warm für's Bergefahren war. Im weiteren Verlauf verstaute ich deshalb meine Mütze in den Rucksack, wo sie bis zum letzten Kontrollpunkt verblieb.

Vor Evertsberg wurde es endlich wieder ein entspanntes Gleiten in perfekter Loipe in beinahe schon traumhafter Winterlandschaft mit zugefrorenen Seen, lichtem Wald und einigen offenen Passagen. Über uns wölbte sich ein strahlend blauer Himmel, die Sonne schien und auch hier wehte fast kein Wind. Selbst der Mond ließ sich blicken. Es war beinahe schon kitschig schön.

Allerdings wurde die Strecke bald darauf technisch und konditionell anspruchsvoller. Zuerst kamen die steilen Abfahrten mit teils engen, ausgefahrenen Kurven. Bevor wir das realisiert hatten,  verlor ich an der denkbar ungünstigsten Stelle zum ersten Mal am Tag die Kontrolle über mein Gefährt. Gut, daß die anderen Skifahrer auf der Piste einigermaßen versiert das große Hindernis - das waren wir mit umgestürztem Schlitten und Gestänge quer zur Fahrtrichtung - mitten in der Kurve passierten. Sonst hätte dort für uns auch schon die Fahrt zu Ende sein können.

Im Verlauf der Tour machte ich noch vier weitere Male Bekanntschaft mit dem Untergrund, doch wäre das bis auf einen einzigen Sturz durchaus vermeidbar gewesen. Es reicht eben manchmal auch schon, wenn nur einer im Tandem kurz unaufmerksam ist. Auf jeden Fall kam nun öfter mal unser Bremser Carsten zum Einsatz, und er machte seine Sache richtig gut! Wenn man perfekt aufeinander eingespielt ist, sind zu dritt selbst steile Abfahrten ohne Unfälle zu meistern.

So sehen Sieger aus! (Aufnahmeort)
Trotzdem gestaltete sich unser Vorwärtskommen zunehmend kurios. Während wir auf den Abfahrten die anderen Skifahrer meist vorbeiziehen lassen mußten, weil wir zur Sicherheit erheblich mehr bremsten, rollten wir das Feld dann regelmäßig an den Anstiegen von hinten auf. So hätte ich das nun wirklich nicht erwartet.

Als mir Christiane gerade erklärte, daß für sie der mental schwierigste Teil einer Langstrecke immer derjenige ist, an dem ca. ¾ der Tour geschafft ist, trat bald darauf tatsächlich dieser Fall ein. Das ständige Auf und Ab dieses Abschnittes mit bösen, kurzen Rampen und ebenso steilen Abfahrten zermürbte nicht nur mich, sondern machte auch meiner Vorderfrau zu schaffen. Erst in Oxberg konnten wir wieder etwas durchatmen. Hier behandelte Christiane endlich auch noch einmal ihre Ski, wobei sich die Wahl des Steigwachses als russisches Roulette darstellte. In der Sonne sulziger Schnee, im Schatten teilweise schon wieder vereiste Spuren. Aber Christiane hatte den richtigen Riecher, sodaß wir nach den letzten Bergen noch mal richtig aufdrehen konnten.

Unser Zieleinlauf im Livestream des Vasaloppet.TV
18.02 Uhr fuhren wir zu dritt in Mora durch das Zieltor (s. Video - Uhrzeit 18:02:22 oben links) - und damit zu einer Zeit, die ich niemals zu erreichen gehofft hatte. Vielleicht bin ich ja damit tatsächlich der erste Rollifahrer gewesen, der diese 90 km im (Tandemski-)Langlaufschlitten bewältigt hat (s. a. meine Vasaloppet-Statistik). Aber so wichtig ist mir das nun auch nicht, denn die Freude über diesen Erfolg steht in nichts meinen großen Handbike-Projekten nach. Nur habe ich damit unter Beweis gestellt, daß auch im Wintersport (selbst für Fußgänger) anspruchsvolle Unternehmungen möglich sind, wenn man diese gemeinsam mit den richtigen Leuten angeht. Als ich Christiane vor etwas mehr als 2 Jahren kennenlernte, befanden sich solche Taten noch weit jenseits meines eigenen Erlebnishorizonts.

Inzwischen liegt auch beim Wintersport meine Meßlatte deutlich höher.

1 Kommentar :

Bigeici hat gesagt…

Bravo, bravo, bravo! Christiane je neuvěřitelná! 😁