27. September 2021

Ode an die Freu(n)de

Die meisten meiner Projekte wären ohne Freunde gar nicht vorstell-, geschweige denn realisierbar gewesen. In meiner Zeit als Handbiker bin ich schon mit vielen Leuten unterwegs gewesen - man trifft sich, erlebt einige Dinge gemeinsam, und hin und wieder trennen sich wieder die Wege. Nahezu schon eine Konstante ist die Freundschaft zwischen meinem tschechischen Kameraden Lád'a und mir, doch in diesem Jahr katapultierte sich auch Christiane innerhalb weniger Wochen auf meiner Freundesliste bis ganz nach oben. Mit beiden konnte ich in diesem Jahr den FICHKONA realisieren, wobei - und das möchte ich ausdrücklich betonen - Andreas der wichtigste Beteiligte war. Denn erst weil Christianes Ehemann für uns die Logistik übernahm, ließ das Vorhaben in dieser Form umsetzen.

Grund genug für eine kleine Abschlußfeier zu diesem denkwürdigen Ereignis. Die Party mit weiteren Freunden sollte abends am Sonnabend bei Christane und Andreas im Garten hinter ihrem Haus starten. Das ist ein kleines Paradies, um welches ich die beiden beinahe beneide.

Natürlich stand darüber hinaus aber noch die Aufgabe vom Stadtradeln auf meiner Tagesordnung. 300 km Mindestkilometerleistung waren für das Wochenende gesetzt. Dieses Pensum teilte ich in drei kurze Strecken.

Zur ersten Tour brach ich am Freitag nach dem frühen Feierabend auf. Da es inzwischen schon recht zeitig dunkel wird - die Nächte sind nun wieder länger als die Tage - plante ich mit einer Streckenlänge unter 100 km. Außerdem wollte noch am Abend Lád'a nach Pirna kommen, um bei mir zu übernachten. So würden wir dann am nächsten Morgen bereits zeitig genug zu unserer gemeinsamen Runde starten können. Hätte ich zum Schluß der schnellen Feierabendtour dann eine Ehrenrunde durch die Stadt gedreht, wären die 100 noch drin gewesen. Lieber aber begleitete ich den gerade angekommenen Kameraden in mein Zuhause.

Für die gemeinsame Ausfahrt mit meinem tschechischen Sportfreund berücksichtigte ich bei der Planung, daß die Strecke nicht zu viele und steile Anstiege bereithalten und auch nicht besonders lang sein sollte. Schließlich wollten wir am frühen Abend zum Treffen mit unseren Freunden, wobei vorher ebenfalls noch einiges zu organisieren war. Tatsächlich kamen am Ende weniger als 1% der Streckenlänge an Höhenmetern zusammen, sodaß ich mich beim Tempo weiter steigern konnte. Mein Pacemaker (Lád'a) im Nacken war zusätzlicher Ansporn. (Eigentlich fährt ja ein Pacemaker vorneweg, aber ich kann durch einen schnellen Fahrer mental auch gedrückt werden.) Noch vor zwei Uhr am Nachmittag waren wir wieder zurück und hatten genügend Zeit, uns für den Abend frischzumachen.

Das Beisammensein in Kautzsch war dann wirklich einer meiner gesellschaftlichen Höhepunkte des Jahres! Hier fand sich eine erlesene Runde von Gleichgesinnten bei Speise und Trank zusammen, später im Dunkeln am Feuer. Ich habe es genossen, denn in angenehmer Gesellschaft fühle ich mich am wohlsten. Zum Glücklichsein brauche ich auch Menschen. Vielleicht mag das manchen verwundern, wo ich doch während meiner Urlaubsreisen meistens allein unterwegs bin. Doch auch da finde bzw. treffe ich immer wieder Leute, mit denen ich mich austauschen kann. Noch schöner ist es freilich, wenn ich vorort bereits mit Freunden auf Tour gehen kann - etwa mit meinen Schweizer Sportfreund ...

Morgenstimmung bei Struppen (Aufnahmeort)
Nach der kurzen Nacht zum Sonntag ließ ich am Morgen vor meiner dritten Runde erstmal das Frühstück aus. Ich war nämlich immer noch kugelrund und satt von der vorangegangenen Völlerei. Die angefressenen Kalorien konnte ich an diesem Tag jedenfalls gleich wieder verbrennen, obschon sich die vorherigen zwei Touren sowie die Nachwirkungen der Feier bemerkbar machten. Aufgrund der langen Abfahrten in der zweiten Hälfte, unterbrochen nur vom Anstieg aus dem Müglitztal sowie dem Abstecher nach Kautzsch, kam ich am Ende erneut locker auf die Soll-Durchschnittsgeschwindigkeit. Ein rundum gelungenes Wochenende!

Nun "muß" ich nur noch einmal ran, um mein persönliches Stadtradeln-Ziel - 1000 km in drei Wochen - zu erreichen. Wenn es perfekt läuft, könnte ich dabei sogar auch gleich die 10k-Jahresmarke knacken. Falls nicht, ist das jedoch kein Drama. Im Jahr 2021 hänge ich zwar derzeit mit meiner Statistik hinter den Jahren 2017, 2019 und erst recht 2020 zurück, habe dafür aber trotz des Motivationstiefs im Frühjahr (abhängig von der Betrachtungsweise) mindestens zwei Großprojekte realisieren können, welche für die allermeisten Handbiker nicht zu schaffen sind.

Klasse statt Masse!

20. September 2021

Grauzone

Die Sonne hat sich rar gemacht am vergangenen Wochenende. Zwei, drei Mal blitzte sie am Sonntagnachmittag durch die Wolken - das war's aber auch schon. Deshalb gehören meine drei letzten Touren eher unter die Rubrik "Training".

Ich hatte ja bereits geschrieben, daß ich derzeit Kilometer für's Stadtradeln sammle. Natürlich konnte ich am Freitag nach zwei nicht mehr einen Hunderter im Hellen zurücklegen. Trotzdem bin ich (gegen meine prinzipielle Streckenvorgabe) losgefahren, nur mit einer ungefähren Vorstellung, wohin es gehen könnte. Berge sollten jedenfalls dabei sein. Wieder rollte es ausgesprochen gut, sodaß ich meine Runde spontan um etliche Anstiege ausdehnte. Dazu gehörten die längere 12%-Rampe aus Oberschlottwitz nach Berthelsdorf (s. Track vom 17.09., km 34,0 - 35,6) sowie der recht kurze 14%er am Ortsausgang von Langenhennersdorf (s. Track vom 17.09., km 59,8 - 60,3). Als ich schließlich auf dem Elberadweg wieder nach Hause rollte, verabschiedete sich der Tag.

Den Sonnabend hatte ich für's Handbiken eigentlich abgeschrieben. Doch am Morgen sah das Wetter gar nicht so schlecht aus, wie angekündigt. Nachdem ich mir also zunächst viel Zeit für das Frühstück ließ, entschied ich mich daher wenigstens für einen Versuch. Weil ich dem Frieden jedoch mißtraute, bewegte ich mich dabei immer in relativer Nähe rund um meine Heimatstadt. Im Falle einer drastischen Wetterwende hätte ich dann - zumindest am Anfang - in höchstens einer Stunde den schützenden Hafen erreichen können. Abgesehen von einigen Minuten Nieselregen blieb ich jedoch den Tag über trocken. Denn anderswo in der Region kam derweil eine ganze Menge Naß vom Himmel. Am Nachmittag schaute ich noch mal bei der Geburtstagsfeier meines jüngeren Patenkindes vorbei, blieb aber nicht lange, weil es zunehmend ungemütlicher wurde. Kurz nach meiner Ankunft in Pirna kam der Regen und beendete den Tag.

Dieses sehr bekannte Wasserspiel in Dresden kennen
 viele Einheimische noch von der Prager Straße.
Es war einzige Fotomotiv während der vergangenen
drei Touren (Aufnahmeort).
Gestern wollte ich zum Schloß Moritzburg. Doch natürlich kam es wieder anders - wie häufig, wenn ich mir spontan während der Fahrt die Strecke zusammenstelle. Zunächst schlug ich in nordöstliche Richtung einen ziemlich großen Haken. Dann peilte ich Radeburg (nördlich von Moritzburg) an. Doch auch diese Stadt ließ ich links liegen, weil ich erneut sehr flott vorankam. Am Ende drehte ich erst in Thiendorf nach Süd(west)en ab, und lernte auf meinem Weg nach Meißen bei dieser Gelegenheit gleich noch ein paar für mich bisher unbekannte Orte und Verbindungsstraßen kennen. Moritzburg war da als Tagesziel schon längst gestrichen. Den Elberadweg habe ich mir ebenfalls erspart, zumindest den Abschnitt bis ins Dresdner Stadtzentrum. Ein paar Höhenmeter sollten es auf dieser sonst flachen Strecke noch sein, gleich der Anstieg aus dem Elbtal in Meißen brachte davon ausreichend. Dafür rollte es auf den letzten 40 km, bis auf das kurze Intermezzo in Dresden-Plauen, nur bergab bzw. flach. Wahrscheinlich war das meine finale 100-Meilen-Tour des Jahres 2021.

Angefangen mit meinen Touren in Norddeutschland bin ich jetzt immer überdurchschnittlich schnell im Handbike unterwegs gewesen. Anfangs vermutete ich ja, daß dies hauptsächlich am flachen Streckenprofil in Ostfriesland lag, Nun bin ich mir allerdings nicht mehr so sicher. Bei meinem Bremsbelagwechsel Ende August richtete ich nämlich den Bremssattel neu aus, weil ich den Verdacht hegte, daß die Beläge permanent, aber kaum wahrnehmbar, mit der Bremsscheibe in Kontakt kamen. Wenn dem wirklich so war, überrascht mich umso mehr die Wirkung!

Grund genug, meine Bremse zukünftig besser im Auge zu behalten!

15. September 2021

Zähne zeigen

Eine Großbaustelle im Mund führte dazu, daß ich zwei Tage krankgeschrieben werden mußte. Glücklicherweise fühlte ich mich nach der Zahn-OP am Dienstag so gut, daß ich mir eine Extrarunde im Handbike leistete. Das lenkte nicht nur ab, sondern wäre bei dem herrlichen Spätsommerwetter sonst beinahe unverzeihlich gewesen.

Also holte ich die Tour nach, welche ich am Sonntag wegen des Regens im Osterzgebirge verschoben hatte. Auch gestern kam ich sehr zügig voran. Selbst auf dem höchsten Punkt der Ausfahrt oberhalb von Fürstenwalde standen nach 48 km und 800 Hm immer noch mehr als 15 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Tacho.

Spätsommer im Osterzgebirge bei Gottgetreu (Aufnahmeort)
Am Ortsausgang von Fürstenwalde bog ich nun endlich mal nach Rudolfsdorf ab. Die drei Häuser unweit der deutsch-tschechischen Grenze sind eigentlich nur über eine Stichstraße erreichbar, doch wollte ich auskundschaften, ob dort nicht doch die Weiterfahrt ins Nachbarland möglich ist. Tatsächlich zweigte auf einer Wiese, kurz nachdem der Fahrweg in eine Schotterpiste übergegangen war, links ein Trampelpfad ab. Auf Mapy.cz sah es allerdings so aus, als wenn danach ein paar Meter weglos überwunden werden müßten. Da die Spur zudem abwärts führte, wollte ich das Risiko letztlich nicht auf mich nehmen und drehte wieder um. Falls ich hier einmal in Begleitung bin, kann ich das Stück ja immer noch testen.

Anschließend fuhr ich auf deutscher Seite die einsamen Straßen nördlich der Grenze nach Osten, bis ich ab Bahra für die Statistik noch das Extrazackel über das Bielatal nach Königstein und von da über das Elbtal zurück bis Pirna anhängte. Derzeit läuft nämlich für meine Heimatstadt die Stadtradelaktion, an welcher ich mich wieder beteilige. Ob ich - wie etliche Male in den Vorjahren - erneut 1000 km in den drei Wochen schaffe, steht zwar in den Sternen. (Ich muß immer noch die offene Stelle am Steißbein behandeln lassen.) Aber ich will wenigstens das Bestmögliche für mein Team vom Tourismusverband Sächsische Schweiz e.V. herausholen.

Außerdem ist eine weitere persönliche Schallmauer in Reichweite ...

13. September 2021

Zuhause

Nach meinen Handbiketouren im flachen Ostfriesland hatte ich angenommen, daß ich leistungsmäßig einbreche, sobald es wieder etwas hügeliger wird. Trotzdem nahm ich mir auf meiner Sonntagsrunde gleich ein paar Rampen und auch längere Anstiege vor. Dieser Test lieferte ein erstaunliches Ergebnis: Ich war auch mit einer um den Faktor 10 größeren Höhenmeterbilanz fast genauso flott unterwegs, wie während meiner vorangegangenen drei Ausflüge! Die nahezu perfekten Witterungsbedingungen (am Vormittag war allerdings die Luftfeuchte sehr hoch) trugen dazu ein Übriges bei.

Schön war es auf jeden Fall, wieder durch heimatliche Gefilde zu rollen. Ich komme jedesmal gern aus einem anderswo verbrachten Urlaub zurück, denn hier habe ich meine Wurzeln. Auch gestern war das nicht anders.

Da waren die einheimischen Radsportler (ich meine hier nicht die Sonntagsfahrer und Möchtegern-Rennradler), die mich auf der Strecke beim Überholen oder im Entgegenkommen grüßten. Viele wissen inzwischen, wer ich bin, weil sich meine bisherigen Radsport-Aktionen unter den Gleichgesinnten in der Region herumgesprochen haben.

Im Kirnitzschtal begrüßten mich die Straßenbahnfahrer der Kirnitzschtalbahn mit Lichthupe und Klingel. In den vergangenen Jahren hatten wir immer mal wieder miteinander zu tun, auch für gemeinsame Fernsehaufnahmen. Außerdem fühle ich mich diesem wildromantischen Tal besonders verbunden. Dazu paßt, daß ich dort dem Mitarbeiter des Ordnungsamtes Sebnitz für seine Arbeit dankte. Endlich greift die Kommune durch und straft die Autofahrer ab, welche die Kirnitzschtalstraße an schönen (Wochenend-)Tagen überall rücksichtslos zuparken.

Und auf dem Elberadweg in Königstein hielt ich schließlich noch ein Schwätzchen mit dem Kapitän des Schaufelraddampfers "Leipzig", der dort gerade Pause machte. Er kennt mich über die Witwe meines langjährigen Seilgefährten, die seine Leidenschaft für die Schiffe der Sächsischen Dampfschifffahrt weiter pflegt. Käpt'n Peschel bot mir sogar an, gleich mit seinem Schiff von Königstein nach Pirna zu fahren. Das war ein echt verlockender Vorschlag! Erst nach einigem Hin und Her entschied ich mich für die Weiterfahrt im Handbike auf dem Elberadweg. Für die Strecke bis nach Pirna benötigt der Dampfer immerhin um die 80 Minuten - und so verschwitzt wie ich war, wollte ich schnellstmöglich nachhause. Letzten Endes haben wir vereinbart, daß ich im Spätherbst nochmal im Rollstuhl mit Petra auf's Schiff komme.

Dann ganz entspannt.

Track der Handbiketour vom 12.09.2021

11. September 2021

Prima Idee!

Zweiundzwanzig Jahre sitze ich nun schon im Rollstuhl, und fast genauso lange interessiert mich, was alles noch trotz dieses Handicaps - besonders an sportlichen Aktivitäten - möglich ist. Auch das Thema Reisen ist damit eng verbunden,  denn nur so kann ich mir neue Gebiete erschließen. Weil ich außerdem die Schönheit meiner Heimat gern anderen Gästen mit Handicap nahebringen möchte, beschäftige ich mich schon seit vielen Jahren (ehrenamtlich) mit verschiedenen Aspekten des barrierefreien Tourismus. Dabei sind inzwischen viele neue themenbezogene persönliche Kontakte hinzugekommen.

Einer Empfehlung verdankte ich es nun, daß ich für die Jury des "Tourismuspreises Barrierefrei" von Ostfriesland Tourismus nominiert wurde. Bisher habe ich noch nie in einem solchen Gremium mitgewirkt, doch fühlte ich mich durch die Anfrage nicht nur geehrt, sondern wollte bei dieser Gelegenheit gleich weitere Kontakte knüpfen. Zumal dieser Preis für Touristiker beiderseits der deutsch-niederländischen Grenze  ausgeschrieben war. Ich bin sowieso immer von binationalen Initiativen begeistert. Daß darüberhinaus die OTG explizit Projektideen für barrierefreie touristische Angebote auszeichnen wollte, fand ich umso bemerkenswerter. Denn noch nie habe ich von einem ähnlich akzentuierten Wettbewerb in Deutschlands Tourismusbranche gehört.

Gruppenbild (fast) aller Beteiligten (Aufnahmeort)
Am Freitag trafen sich dann die Initiatoren und die Jurymitglieder in Leer, um die drei Preisträger zu küren. Wir waren eine bunt gemischte Truppe: Männer und Frauen aus den Niederlanden und aus Deutschland, davon zwei Leute mit Handicap (einer online). Ein durchaus repräsentativer Querschnitt mit vielen verschiedenen Sichtweisen und unterschiedlichen Erfahrungen zum barrierefreien Tourismus.

Es wurde ein langer Nachmittag mit angeregten Diskussionen und einem Auswahlprozeß, der sehr dynamisch verlief. Ich denke, ich war nicht der Einzige, dem diese Art Gedankenaustausch ausnehmend gut gefallen hat. Als wir uns schließlich auf die Preisträger geeinigt hatten, nahm wohl jeder auch neue Erkenntnisse und Ideen aus dieser Runde mit.

Die Preise sollen nun bei einem Naturfestival im November 2021 in den Niederlanden verliehen werden, wobei die Platzierungen der Preisträger erst während dieser Veranstaltung bekanntgegeben werden. Das macht die Sache für die ausgewählten Bewerber noch etwas spannender. Überhaupt ist dieses Fest ein perfektes Podium, solche Initiativen zur Barrierefreiheit im Tourismus bekannt zu machen und damit vielleicht sogar neue Mitmacher zu gewinnen. Die Ostfriesen sind mit dieser Aktion ganz vorn dabei!

Beim gemeinsamen Abendessen streckte ich meine Fühler natürlich auch in Richtung der niederländischen Beteiligten aus. Es würde mich nämlich schon reizen, nun ebenfalls die Regionen des Nachbarlandes an der Nordsee zu erkunden. - Gut möglich, daß ich also in nicht allzu ferner Zukunft dort mal zu Gast bin.

In den Niederlanden war ich jedenfalls noch nie.

9. September 2021

Höhenmeterausgleich

Bevor ich mich am Freitagnachmittag dem eigentlichen Zweck meines Aufenthalts in Ostfriesland widme, wollte ich es heute noch einmal im Handbike wissen. Diese Tour führte nach Leer, wo ich mich morgen mit den anderen Jurymitgliedern treffe, um die Preisträger des von der Ostfriesland Tourismus GmbH ausgelobten "Tourismuspreises Barrierefrei 2021" zu küren.

Den Track für das Navi hatte ich mir am Vorabend auf die Schnelle zusammengeschustert. Diesmal ohne das Knotenpunktsystem, denn es zählte hauptsächlich die Strecke. Wenn ich hier in Ostfriesland schon keine Höhenmeer sammeln konnte (das wußte ich aber schon vorher), dann wenigstens etwas mehr Kilometer.

Der größere Teil der Anfahrt zum Umkehrpunkt verlief daher recht eintönig. Auch die Landschaft auf den langen schnurgeraden Abschnitten hinter Wittmund sorgte nicht unbedingt für Abwechslung. So freute ich mich über jeden kleinen Schlenker, den der Radweg machte. Das ist in diesem Zusammenhang unbedingt zu erwähnen: nahezu alle stärker befahrenen Straßen verfügen über einen begleitenden Radweg von sehr guter bis (seltener) akzeptabler Beschaffenheit und Breite. Radfahrer und Handbiker, welche nur ungern die Straße mit dem Kraftverkehr teilen möchten, sind hier jedenfalls meist gut aufgehoben.

Leer machte auf mich im Vorbeiflug keinen großen Eindruck, obwohl ein während meiner Freßpause zufällig anwesender Stadtführer gerade gegenüber den älteren Herrschaften, die er begleitete, vom "Hafen im Stadtzentrum" schwärmte.

Auf dem zweiten Bahntrassenradweg
(Aufnahmeort)
Ich fand hingegen meine schönen Streckenabschnitte auf der Rückfahrt. Bereits beim Erstellen des Tracks bemerkte ich zwei in der OpenStreetMap als Radwege (blau gestrichelt) eingezeichnete Verbindungen, die verdächtig nach alten Bahntrassen aussahen. Das waren sie tatsächlich. Während der erste Abschnitt (s. Track vom 09.09., km 95,7 - 107,3) mit Betonplatten befestigt wurde, hatte man den zweiten Abschnitt (s. Track vom 09.09., km 126,0 - 135,7) hauptsächlich nur mit einer Mineralstoffdecke (Splitt) versehen. Fahren ließen sich jedoch beide ganz gut, nur eben nicht wie auf Asphalt. Dafür führte die Trasse weit abseits von jeglichem Fahrzeuglärm sehr schön und abwechslungsreich durch's Gelände. Durchaus eine Empfehlung!

Meine letzten Handbikekilometer des Jahres 2021 in Ostfriesland verlegte ich ans Meer und schaute mir noch die Häfen von Neuharlinger- und Harlesiel an. Und weil ich mich bei meiner Tour nach Wilhelmshafen über zwei Gatter geärgert hatte, die ich selbst nicht bedienen konnte, startete ich angesichts der vielen Radler einen zweiten "Durchbruchs"versuch. Wie sich dabei schlußendlich herausstellte, waren das tatsächlich die einzigen No-Go-Hindernisse, die man überdies sogar auf einer anderen Strecke umgehen kann (s. Track vom 09.09., km 157,4).

Die Planer des Küstenradwegs sind rehabilitiert!

8. September 2021

Watt is'!

Der Dienstag und der Mittwoch blieben den touristischen Aktivitäten während meines Urlaubs vorbehalten. Wenn ich schon mal hier an der Nordsee bin, dann will ich auch das erleben, was diese Region so besonders macht. Das ist in erster Linie natürlich das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer, aber für mich auch der Besuch wenigstens einer der ostfriesischen Inseln.

Gestern setzte ich also am Vormittag auf die Insel Wangerooge über. Das klappte für mich als alleinreisendem Rollifahrer erstaunlich reibungslos. Die zwei großen Fähren sind mit Schiebeunterstützung gut zugänglich, nur eine Rollitoilette gibt es an Bord nicht. Auch den Waggon der Inselbahn konnte ich im Anschluß problemlos über festinstallierte Rampen erreichen. Allerdings habe ich extra ausgewiesene Behindertenparkplätze auf der Ostseite des Hafens von Harlesiel vermißt, aber vielleicht darf man ja mit dem blauen Parkausweis auch einen zeitbegrenzten Stellplatz zum Be- und Entladen nutzen. Prima fand ich jedenfalls, daß die gesamte Fahrt - also Fähre und Inselbahn - für mich als Besitzer eines Schwerbehindertenausweises mit Merkzeichen B und H sowie einer gültigen Wertmarke kostenlos war.

Vor dem Turm der Jugendherberge auf
Wangerooge (Aufnahmeort)
Auf der Insel blieb ich dann gar nicht so lange im Dorf. Eine Stipvisite zum Nationalparkhaus, ein Abstecher zu Strandpromenade und Badestrand im Norden - dann mußte ich schon wieder zurück zum Hafen. Denn leider bleiben einem als Tagesgast nur ca. 2,5 Stunden für die Erkundung der Insel. Statt also mit der Bahn zurück zum Hafen zu fahren, rollte ich auf dem gut befahrbaren Plattenweg über den Westgrodendeich, immer den Westturm der (heutigen) Jugendherberge vor Augen. Eine weitere Viertelstunde dauerte danach mein Weiterweg zum Westhafen, wo mir vor der Abfahrt der Fähre noch genügend Zeit blieb, um mich dort umzusehen. 

Denn die minutengenaue Einhaltung von Fahrplänen sollte man hier nicht erwarten. Aber irgendwie finde ich das sympathisch - schließlich paßt das doch perfekt zur beworbenen Entschleunigung. Bei meinen Begegnungen in den vergangenen Tagen habe ich tatsächlich immer wieder neben der beinahe schon selbstverständlichen Freundlichkeit (ja, selbst Erwachsene grüßten mich unterwegs sehr oft) eine Gelassenheit der Einheimischen festgestellt, die sie gewiß viel resistenter gegen Streß, gegen Haß und Hetze macht. Vielleicht ist das der Grund, wieso die (Ost-)Friesen - genauso wie die Sachsen - oft als geistig minderbemittelt dargestellt werden (Ostfriesenwitze), obwohl dem selbstverständlich nicht so ist. In diesem Punkt fühle ich mich daher als ihr Bruder im Geiste.

Auf der Suche nach einer Pfeffermuschel (Aufnahmeort)
Heute ging es für mich bei Schillig auf Wattsafari. Im dafür benötigten Watt-/Strandmobil konnte ich mich zwar nicht selbst vorwärtsbewegen, doch übernahmen das Wattführer Arne sowie Anneke, die derzeit im Wattwanderzentrum als Praktikantin tätig ist. Außer mir beteiligte sich nur noch eine dreiköpfige Familie an dieser Tour, sodaß es sich beinahe wie eine Exklusivführung anfühlte. Dementsprechend war der Erlebnisfaktor.

Das Watt quasi unter sich zu spüren, zu sehen, was alles und wie es darin so lebt, natürlich auch die detaillierten Erläuterungen von Arne - u.a. über die Bedeutung dieses Lebensraums für die biologische Vielfalt - war nicht nur sehr informativ, sondern manchmal auch ziemlich unterhaltsam. Etwa, als unser Führer lange vergeblich nach Pfeffermuscheln grub, und selbst ein stattlicher Wattwurm erst aus größerer Tiefe ans Tageslicht gebracht werden mußte. Eine lebende Krabbe haben wir heute leider auf unserem Ausflug nicht gesehen, doch fand Arne zum Schluß wenigstens ein unlängst verendetes Exemplar. Damit waren unsere Wattenmeer Small Five (Antonym zu den Big Five einer Safari in Afrika) komplett, für mich unbedingt ein Höhepunkt dieser Urlaubsfahrt. Ein paar Muschelschalen, u.a. von einer Pazifischen Auster, und eine Vogelfeder werden mich immer an diesen besonderen Ausflug erinnern.

Es muß nicht immer Handbiken sein.

7. September 2021

Viel Meer

Die ersten Tage meines Urlaubs in Ostfriesland liegen hinter mir, und natürlich war ich hier inzwischen mit dem Handbike auf Achse.

Doch zuerst habe ich am Tag meiner Ankunft, den Sonnabend, meine neue Heimat auf Zeit mit dem Rollstuhl erkundet. Das schöne alte Ortszentrum von Carolinensiel rund um den alten Sielhafen war genau so, wie man es sich klischeehaft vorstellen würde. Backsteinhäuser, Wasser, alte Schiffe. Gleich am Hafen steht auch eines der Nationalparkhäuser des Nationalparks Wattenmeer, welchem ich sofort einen Besuch abgestattet habe. Eine kleine, aber feine Ausstellung im Obergeschoß der ehemaligen Pastorei, welche über einen Aufzug barrierefrei erreicht werden kann.

Das erste Mal an der Nordsee! (Aufnahmeort)
Am Sonntag sollte es dann mit dem Handbike nach Emden gehen. Inkl. des Rückwegs kamen dabei ein ganzes paar Kilometer zusammen, sodaß ich wieder früh kurz vor Sonnenaufgang gestartet bin. Die Sonne über dem Watt aufgehen zu sehen, hatte schon 'was. Eine schöne Einstimmung für den Tag. Später fuhr ich dann zum ersten Mal direkt am Meer auf dem Strandradweg, dessen Asphaltband hier allerdings vermutlich auch dem Schutz des Deiches dient. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich merkte, daß der untere Teil davon etwas weniger seitwärts abschüssig ist und sich deshalb für mich auf drei Rädern besser fahren ließ. Bei dieser Tour war dies der einzige Teilabschnitt am Wasser, auch wenn ich mich auf der Hinfahrt immer recht nahe der Küste bewegte.

Dafür kam ich viel schneller voran, als in den Bergen. Am Ende meiner Ausfahrt standen nach 163 km spektakuläre 136 Hm auf meinem Fahrradcomputer - ein Wert, für den ich vor wenigen Wochen während meines Urlaubs in den Alpen oft keine 2 km Strecke benötigt hatte. Allerdings sollte man die Anforderungen an solch eine flache Tour nicht unterschätzen. Im Gegensatz zum bergigen Gelände gibt es hier nämlich keine Ruhepausen beim Kurbeln auf Abfahrten.

Eine typisch ostfriesische Sportart habe ich während meines Wochenendsausflugs auch gleich kennengelernt. Mitten auf einer durchschnittlich stark befahrenen Landstraße spielten Männer aus zwei unterschiedlichen Mannschaften (das war an den Trainingsanzügen erkennbar) Ball, und für die einheimischen Autofahrer schien das völlig normal zu sein. Als mir zum zweiten Mal eine solche Truppe begegnete, fragte ich einfach nach. Das Bosseln (bei Wikipedia Boßeln) ist ein sehr beliebter Zeitvertreib in Ostfriesland und wird sogar auch als Leistungssport betrieben. Ich war begeistert.

Auf meiner ersten Handbiketour im Nordwesten konnte ich leider noch nicht so oft und lange das Wattenmeer sehen, doch das sollte sich gestern ändern. Zwar hatte ich zuhause bereits eine Tour geplant, dann jedoch den Ausflug nach Wilhelmshaven mithilfe des Knotenpunktsystems für Ostfriesland zusammengestellt. Dieses führt die Radfahrer über kraftverkehrsfreie bzw. ruhige Nebenstraßen und Radtrassen durch das Land. In Harlesiel stand ich zu Beginn jedoch erstmal vor einem mit einer Tür verschlossenen Viehgatter, welches ich nicht selbst öffnen und schließen konnte. Ich war bedient! Erst einige Kilometer später wagte ich einen neuen Anlauf auf der Knotenpunkttrasse - und siehe da, jetzt rollte es! Inzwischen wurden nämlich oft die "Falltüren" der Zäune durch enge Umfahrungen mit Weiderosten (wie ich sie aus den Alpen bereits kenne) ersetzt. Hier mußte ich zwar trotzdem manchmal etwas manövrieren, kam aber ohne Hilfe durch.

Wo sich Himmel und Erde begegnen ... (Aufnahmeort)
Endlich begleitete mich auch zur Linken für viele Kilometer das Meer. Der Faszination dieser Welt zwischen Himmel und Erde konnte ich mich nicht entziehen, auch deshalb, weil die Sonne das Wasser silbrig glitzern ließ.

Vor und in Wilhelmshaven mußte ich dann ziemlich zickzack fahren, denn ein Teil des Radweges und auch die Jachmannbrücke war gesperrt. So bekam ich vom Stadtzentrum relativ wenig mit, konnte aber immerhin durch die Bäume einige im Marinearsenal liegende Kriegsschiffe erahnen. Am Südstrand flanierte ich mit dem Rad noch durch die Fußgängerzone und fuhr an den Museumsschiffen des Marinemuseums vorbei, bevor ich die Stadt wieder verließ.

Etwas später begann das etwas mühsame Zickelzackel erneut und begleitete mich nun fast bis zum Ende der Tour. Erst war es eine Großbaustelle (s. Track vom 06.09., km 73), dann jedoch führte mich das Knotenpunktsystem zwar auf verkehrsfreien, doch eben auch verschlungenen Pfaden (manchmal im wortwörtlichen Sinne) sowie holperigen zerfahrenen Betonstein- oder auch Schotterpisten durch das ostfriesische Hinterland. Das kostete mich nicht nur Zeit, sondern auch Nerven.

Um etliches später als geplant erreichte ich endlich mein Quartier - doch immer noch zeitig genug, um mich für das Treffen mit Joke vom Wattwanderzentrum Ostfriesland frisch zu machen. Es wurde schließlich ein entspannter und sehr informativer Tagesausklang im Gulfhof Friedrichsgroden - bei einem Mann mit vielen Plänen, der so gar nicht meiner Vorstellung eines (introvertierten und wortkargen) Nordländers entsprach.

Solche Macher braucht das Land!

Track der Handbiketour vom 05.09.2021
Track der Handbiketour vom 06.09.2021