22. Juni 2021

Wahnsinnsritt im Osten

Als Stefan nach meinem erfolgreichen Berlin-Projekt sinngemäß kommentierte, daß ich doch eigentlich gleich hätte ans Meer fahren können - bin ich gar nicht näher darauf eingegangen. Denn da stand der FICHKONA schon einige Zeit auf meiner Wunschliste.

In diesem Jahr ging nun alles sehr schnell. Bei Christiane, die mich erst im Februar wegen gemeinsamer Skitouren kontaktiert hatte, stand nämlich das gleiche Vorhaben auf dem Zettel, und ihr Ehemann Andreas wollte sein Hobby als leidenschaftlicher Geocacher mit unserer logistischen Unterstützung verbinden. Insofern paßte alles - die Zeit war einfach reif dafür. Wann, wenn nicht jetzt?! Daß mein tschechischer Kamerad sich uns ebenfalls anschloß, lag nahe - nun endlich konnte ich mich (über Andreas) für seine uneigennützigen Fahrdienste während meiner Teilnahme am Styrkeprøven im Jahr 2012 revanchieren.

Der FICHKONA ist ein 24-Stunden-Brevet, der auf dem FICHtelberg im Erzgebirge startet und bis zur Ostsee auf den nördlichsten Punkt der Insel Rügen, dem Kap ArKONA, führt. Die über 600 km lange Strecke im Handbike innerhalb dieser Zeitvorgabe zu absolvieren, kam für mich selbstverständlich nicht in Betracht, und deshalb wollte ich auch nicht an der eigentlichen Radsportveranstaltung teilnehmen. (Diese mußte dann im Frühjahr erneut aufgrund der seuchenbedingten Einschränkungen abgesagt werden.) Immerhin hatte ich mir schon 2019 bei den Organisatoren der Radsportveranstaltung die Erlaubnis eingeholt, mein Projekt unter Verwendung des originalen Tracks ebenfalls so zu betiteln.

Unser Trio am Start auf dem Fichtelberg (Aufnahmeort)
So sah also die Vorgeschichte und das Umfeld aus, als wir vier uns am Sonnabend kurz nach Mitternacht trafen, um gemeinsam zunächst mit dem Auto zum Fichtelberg zu fahren. 4.15 Uhr in der Frühe starteten Christiane, Lád'a und ich schließlich von dort, während Andreas bereits seine ersten Geocaches suchte.

Bis Chemnitz kamen zwar einige wenige größere Gegenanstiege, dafür sanken wir auf diesen rund 65 km von 1214 auf etwa 300 m NHN. Logisch, daß wir diesen Abschnitt sehr flott bewältigten, zumal es ja außerdem noch herrlich frisch bzw. kühl war.

Ich will jetzt hier nicht jeden Kilometer kommentieren - wahrscheinlich verfasse ich darüber auch noch in naher Zukunft einen ausführlichen Bericht - deshalb nur ein paar zusammenfassende Worte zu den nun folgenden 45 Stunden auf dem Handbike bzw. Rennrad.

Obwohl ich meinen Freunden geraten hatte, zur Belastungsoptimierung ihr eigenes Tempo zu fahren, blieben sie bis kurz vor der Küste treu an meiner Seite. Selbst als ich erheblich langsamer wurde und nicht mehr mit ihnen mithalten konnte, vereinbarten wir immer wieder in kürzeren Abständen von ca. 20 - 30 km Treffpunkte, wo sie dann auf mich warteten. Das war nicht nur sehr lieb, sondern auch extrem praktisch für mich. Denn an den Zwischenstops konnten mich die beiden mit den gerade gekauften Getränken versorgen, und Andreas mit dem Auto hatte viel mehr zusammenhängende Zeit für sein Geocaching zur Verfügung. Daß Christiane und Lád'a manchmal wegen mir fast eine Stunde pausierten, machte es für sie gewiß nicht leichter - half mir jedoch enorm.

Im Laufe des Sonnabends entwickelte sich eine schwüle Gluthitze bis stellenweise ca. 37°C, gegen die ich immer schwerer ankam. Einem Rollifahrer brauche ich vermutlich nicht zu erklären, wie sich die Hitze auf mich auswirkte. Für die anderen: Zum Wärmeausgleich (z.B. durch Schwitzen) steht ausschließlich der nichtgelähmte Körper zur Verfügung - bei mir also nur alles oberhalb des Bauches. Klar, daß deshalb gar nicht so viel Wärme abgeführt werden konnte, wie eigentlich notwendig. Die Folge war, daß ich heißlief und drastisch in der Leistung einbrach. Sowohl an diesem Tag, als auch am Sonntagnachmittag, stand ich also kurz vor der Kapitulation - auch deshalb, weil ich keinesfalls meinen Begleitern ihren sonst sicheren Erfolg zunichte machen wollte. Doch vor allem Christiane bewahrte kühlen Kopf, motivierte mich, indem sie den Fokus immer nur auf den nächsten Streckenabschnitt legte und dabei gleichzeitig die ganze Zeit durch ihre Bestimmtheit mir die ganze Last des sich Verantwortlichfühlens von den Schultern nahm. - Ich denke, so kann nur eine Frau handeln ... 

Ich habe Geburtstag! (Aufnahmeort)
Kurz nach Mitternacht gab es dann eine tolle Überraschung für mich. Christiane hatte nach unseren gemeinsamen "Abendbrot" mit Andreas am Auto in Wittenberg einen Rucksack mitgenommen, zauberte nun mitten in der Nacht einen Kuchen mit Kerze und Schlagsahne daraus hervor, und beide gratulierten mir innig zum Geburtstag. Ich war sprachlos vor Freude!

Auf der nächtlichen Weiterfahrt klinkte sich dann bald Lád'a für zwei, drei Stunden aus. Statt mit mir nur langsam voranzukommen, gönnte er sich lieber etwas Ruhe in der Horizontalen, während ich mich mit Christiane weiter zum Ziel vorarbeitete. Ich kam mit dieser ersten schlaflosen Nacht übrigens ganz gut klar, doch Christiane hatte bereits die vorangegangene Nacht nicht richtig schlafen können und war deshalb etwas müder. Aber bei Gesprächen ging die Zeit recht schnell vorbei - ich genoß diese Stunden vor allem wegen der erfrischenden Kühle.

Die hielt sich bei bedecktem Himmel und leichtem Rückenwind bis weit in den Sonntag hinein, so daß ich schließlich trotz der Dauerbelastung gut erholt und mit frischem Mut das letzte Drittel der Strecke anging. Leider schlug etwas später auch an diesem Tag die Hitze erbarmungslos zu - es war nur etwas trockener, und machmal förderte der Rückenwind das Vorwärtskommen. Kurz vor Neubrandenburg kroch ich jedenfalls erneut eine Zeitlang auf dem Zahnfleisch.

In Grimmen sah ich dann meine Freunde zum letzten Mal vor dem Ziel. Sie sollten schon vorfahren und mir einen Platz am Kap Arkona reservieren. 🤪 Denn inzwischen stand nicht mehr die Frage im Raum, ob ich am nördlichsten Punkt der DDR im Handbike ankomme, sondern nur wann. Daß es bis dahin noch 8,5 Stunden dauern würde, war mir allerdings nicht klar.

Kurz vor Sonnenuntergang ging es dann ab auf die Insel (Rügen). Bereits auf meiner Handbiketour im Dezember 2018 hatte ich festgestellt, daß Rügen - wie übrigens auch die mecklenburgische Seenplatte - bei weitem nicht so flach und anstiegslos ist, wie gedacht. Auch die Entfernungen auf der Insel habe ich damals völlig unterschätzt. Nun wußte ich es zwar, doch zogen sich die 60 Kilometer bis zum Endziel trotzdem ewig hin. Diesmal erwischte mich endlich auch richtig die Müdigkeit. Es gab mehrere Momente auf den leeren und nachtdunklen Straßen, wo ich kurz beim Kurbeln wegnickte und wohl dabei sogar zum Stehen kam. Dagegen half nur Reden und Singen - und dann noch die Vorfreude auf den Endsieg.

Am 21.06.2021, 3.40 Uhr kurbelte ich mich den letzten Anstieg zum Leuchtturm hinauf. Geschafft! Einen kurzen Moment der Besinnung, dann erreichte ich am Telefon Christiane, die mich mit dem Auto schließlich von Putgarten abholte und zum "Küstencamp" brachte, wo wir unsere Übernachtung im Zelt gebucht hatten. Bei mir wurde es allerdings nichts mit Schlafen, weil ich nun unbedingt dringende Körperangelegenheiten regeln mußte. Aber das warf mich nicht mehr aus der Bahn. 616 km und 2730 Hm in (brutto, also inkl. Zwischenstops) 47 Stunden 45 Minuten und 26 Sekunden - ich glaube nicht, daß ich eine solche Aktion noch einmal erleben werde.

Aber das hatte ich 2012 nach dem Styrkeprøven auch gesagt ...

Track der Handbiketour vom 19.-21.06.2021 (nonstop) 

1 Kommentar :

Veit hat gesagt…

Wenn man immer in Bewegung bleibt, ist Einschlafen eigentlich kein Thema.😁Dafür habe ich danach aber etliche Tage gebraucht, um durch zusätzliche "Ruhezeiten" mein Schlafdefizit wieder auszugleichen...