15. April 2018

Normal ist das nicht ...

In der vergangenen Woche mußten wir die geplante Rolliwanderung verschieben. Doch für den Sonnabend schlug mein Kamerad Lád'a vor, die Wanderung zum Lobosch (Lovoš) nachzuholen. Da die Tour recht kurz ist, sollte ich ihn erst 13.30 Uhr zuhause abholen.

Kurz nach zwei starteten wir schließlich von Wopparn (Oparno), ich in der sich bei etlichen schwierigen Offoad-Wanderungen bewährten Rollstuhl-Lenkvorsatz-Kombination inkl. einer Zugleine aus einem Stück Kletterseil wie bei unserer Expedition zum Prebischtor. Mein tschechischer Kamerad war sichtlich verblüfft, wie gut das funktionierte. Bereits eine knappe Stunde später standen wir zwei auf dem Gipfel, ohne auch nur einmal unterwegs Pause gemacht zu haben. Der Weg hinauf ist allerdings sehr gut zu befahren, nur die vielen breiten, in Stein gefaßten Querrinnen zum Ableiten des Wassers sind ohne drittes großes Rad vermutlich ziemlich mühsam zu überqueren. Die letzten 400  m müssen außerdem Rollifahrer und Begleiter bei einer Steigung jenseits von 20% noch einmal vollen Einsatz zeigen. Immerhin ist dieser Berg für sportliche Rollifahrer machbar, auch wenn dazu unbedingt mindestens ein Begleiter benötigt wird. Hier jedenfalls haben wir auch etliche Kinderwagenfahrer getroffen.

Auf dem Gipfel des Lobosch (Aufnahmeort)
Der Blick von den ca. 570 m ü. NHN gelegenen Aussichtsterrassen ist bei gutem Wetter einfach fabelhaft. 400 m über der Umgebung gelegen, schweift der Blick nahezu ungehindert nach fast allen Seiten. Wir haben am Sonnabend (mit dem Fernglas) sogar den 70 km Luftlinie entfernten Jeschken (Ještěd) bei Reichenberg (Liberec) gesehen!

Normal wäre nun gewesen, nach einem solch schönen Gipfelsieg glücklich und zufrieden wieder ins Auto zu steigen und nach Hause zu fahren. Aber wenn wir zwei Verrückten gemeinsam unterwegs sind, ist nichts wie üblich. Lád'a hatte Blut geleckt. Er kannte den Aufstieg zum Milleschauer (Milešovka), den mit 836 m ü. NHN höchsten Berg des Böhmischen Mittelgebirges ganz in der Nähe. Das, was ich von Freunden und Bekannten über die Wege zum Gipfel wußte, war dagegen eindeutig: unmöglich für Rollifahrer! Doch der Freund ließ sich von meinen Einwänden nicht beeindrucken. Auf direktem Weg fuhren wir nun nach Milleschau (Milešov) und begannen am späten Nachmittag gegen 16.40 Uhr mit dem Aufstieg. Die meisten Wanderer wären ALLEIN schon vom ersten Berg erledigt gewesen, wir hingegen hatten uns zusätzliche 430 Höhenmeter vorgenommen.

Ein hartes Stück Arbeit - auch wenn es hier ausnahmsweise
mal keine großen Felsböcke gab (Aufnahmeort)
Wenn es aber nur die Höhendifferenz gewesen wäre... Der Weg wurde immer steiler, war schmal und hangabwärts abschüssig sowie teils heftig verblockt (also richtig große Steine und Steilstufen, machmal auch mit Wurzeln durchsetzt). Und wir zwei am Abend allein im Kampf um den Gipfel! Aufgeben kam für meinen Kameraden nicht infrage, auch wenn ich ihm das mehrmals anbot. Für mich bedeutete der Anstieg zwar ebenfalls harte Arbeit, doch die meiste Kraft mußte sicher Lád'a einsetzen und dabei zugleich aufpassen, nicht abzurutschen. Das wäre für mich nämlich verheerend gewesen. Dieses blinde Vertrauen in meinen Begleiter - bisher noch nirgendwo war das für mich in meinem Rollifahrerleben so existentiell wie hier auf diesem gefährlichen Weg.

An der Kreuzung 500 m unter dem Gipfel trafen wir Freunde von Lád'a, darunter einen der tschechischen 8000er-Bezwinger, der mich von früheren Unternehmungen kannte (s.a. Film). Sein Handschlag und sein Lob waren für mich eine große Ehre.

Vielleicht wäre uns der Gipfelsieg aber doch noch verwehrt geblieben, denn wenige Minuten unter dem höchsten Punkt kam die schwierigste Passage. Selbst hartgesottene Mountainbiker müssen hier absteigen, wie Lád'a zugab. Doch da begegneten uns erst ein Pärchen, deren Mann zunächst meinem Kameraden und mir beim "Klettern" half, dann aber drei weitere kräftige Männer, vermutlich Soldaten der tschechischen Armee. Da wurde nicht viel Federlesens gemacht und der Rollstuhl die kritischen Meter als Sänfte für den Inhalt umfunktioniert! Solche Hilfsbereitschaft zu erleben, ist großartig. 18.30 Uhr hatten wir nach harten, aber fairen Kampf den Milleschauer bezwungen. - Ein unbeschreibliches Gefühl!

Ganz weit unten sahen wir den Lobosch, unseren ersten heute bezwungenen Berg. Klein, wie ein Hügelchen. Vom Wirt gab es gratis Bier und Kofola, nicht nur er war sichtlich beeindruckt von unserer Aktion. Es würde mich nicht wundern, wenn ich der erste Rollifahrer bin, der jemals diesen Gipfel erreicht hat.

Das ist der Gipfel! Die Oberarme beweisen, daß ich mich
nicht nur habe ziehen lassen ... (Aufnahmeort)
Indes, vor dem Heimweg graute mir, und ich drängte zum Aufbruch. Wegen der fortgeschrittenen Stunde stiegen nur noch wir zwei ab. Aber es lief besser als gedacht, zumal ich nun doch die kleinen Vorderräder meines Rollstuhls ausgeklinkt und das Gefährt damit wesentlich mehr Bodenfreiheit hatte. Es blieb damit nur die Gefahr des unkontrollierten Ausrutschens meines Bremsers. Doch nachdem wir die schwierigste Stelle bergab bravourös gemeistert hatten, nutzten wir die alternative Variante, welche nicht so steinig war. Als wir dachten, wir seien aus dem Gröbsten heraus, kamen wir trotzdem noch einmal in Bedrängnis. Forstfahrzeuge hatten den weichen Waldboden nahezu umgeackert, und die ursprünglichen Wege waren zugewachsen. Bei zunehmender Dunkelheit trug mich Lád'a zunächst über zwei unpassierbare Stellen und holte dann den Rolli nach. Erleichtert erreichten wir endlich die asphaltierte Straße. Als wir gegen 20.30 Uhr wieder am Auto ankamen, wußten wir beide, was wir den Nachmittag über getan hatten.

Was schrieb mir heute mein Sportfreund?  "A jsem moc rad, že jsme to včera dokázali! Neuvěřitelně! Lovoš a Milešovka v jeden den." (Und ich bin froh, daß wir das gestern geschafft haben. Unglaublich! Lobosch und Milleschauer an einem Tag.) - Danke Lád'o! Ohne Deinen Wagemut und vollen Einsatz hätte ich niemals auf diesen herrlichen Gipfeln gestanden!

Heute bin ich dann noch eine Runde mit dem Rad gefahren, sozusagen als Ausgleich. Gegen die gestrige Aktion ist das aber nicht weiter erwähnenswert. Der Beitrag ist sowieso schon überdurchschnittlich lang geworden...

Aber das mußte sein.

Track der Rolliwanderung Nr. 1 vom 14.04.2018
Track der Rolliwanderung Nr. 2 vom 14.04.2018
Track der Handbiketour vom 15.04.2018

7 Kommentare :

Jirka Safa hat gesagt…

Ahoj kamaradi, nemam slov. Bylo to uzasne napinave cteni (auch mit translator). Unglaublich. Musela to byt hrozna drina, ale potom ten pocit!
Jste borci.

Veit hat gesagt…

Ahoj Jirko, nedokázal bych to bez Lád'y! Je opravdový kamarád. Diky za komentář!

Láďa hat gesagt…

Dřina to byla, nahoře jsem sotva pletl nohama a ruce jsem necítil, ale dali jsme to! Dík za podporu. Teď ještě Sněžku a je to!

Jirka Safa hat gesagt…

Kdy se chystate na tu Snezku? Diky za inspiraci!

Láďa hat gesagt…

Někdy v červnu, až sleze sníh. Veit má kulaté narozeniny! :)

Veit hat gesagt…

".... má kulaté narozeniny!" - Psssst!!! :-)

Jirka Safa hat gesagt…

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag :-)
Dejte mi vedet, az budete mit termin pro Snezku.
Pekny letni vikend!