14. Mai 2023

Nachteilsausgleich?

Kurz vor dem Wochenende gab es wieder einmal eine Premiere. Torsten hatte wegen gemeinsamer Handbiketouren angefragt, und am Freitagnachmittag bot sich die Gelegenheit für eine erste Runde zu zweit.

Nun ist es ja kein Geheimnis, daß ich strikt gegen E-(Hand)Bikes bin. In diesem Fall rückte ich allerdings von meiner Position ab, denn es sprachen bei meinem Begleiter gewichtige Gründe für die Nutzung eines solchen Gefährts. Als Tetraplegiker stehen ihm nämlich läsionsbedingt selbst die Armmuskeln nur eingeschränkt zur Verfügung. Diese fehlende Kraft mit Motorunterstützung auszugleichen, erschien mir sinnvoll - vor allem, wenn Torsten zusammen mit körperlich besser gestellten Radsportlern auf Achse ist. Bei richtiger (und möglichst niedriger) Wahl der Unterstützungstufe kann er so an den Sportfreunden dran bleiben und sich trotzdem körperlich ausarbeiten.

Wir trafen uns also am Dresdner Terrassenufer und fuhren gemeinsam bis kurz hinter Taubenheim. Dort verabschiedeten wir uns, er kehrte zu seinem Ausgangspunkt nahe Lommatzsch zurück, ich nach Pirna. Es war eine gelungene Ausfahrt, auf welcher Torsten zum ersten Mal einen Hunderter fuhr.

Meine nächste Tour am Sonnabend sollte eigentlich etwas länger werden, doch fühlte ich mich am Morgen überhaupt nicht danach. Deshalb verschob ich den Plan und bastelte mir Zug um Zug eine alternative Strecke.

Kurz vor dem Touristenübergang zwischen Langburkersdorf und Lobendau (Lobendava) überholten mich plötzlich ein Haufen Radsportler. Das konnte kein Zufall sein! Wie sich bei meinem Nachfragen herausstellte, waren das die Teilnehmer des 400 km Brevets ins Riesengebirge. (Das klingt nach einem interessanten Plan!) Offensichtlich unterschätzten etliche Teilnehmer jedoch die Reifenkiller-Piste vom Grenzübergang in Richtung Lobendau. Auf reichlich 1 km Strecke (s. Track vom 13.5., km 43,8 - 45,0) überholte ich - langsam fahrend - dann 6 Leute dieser Truppe, die mit Reifenflicken beschäftigt waren. Das war beinahe wie eine Parade der Pechvögel, und das für sie schon ziemlich zu Beginn der Herausforderung!

Auf dem Gipfel des Tanzplans
(Aufnahmeort)
Eingedenk dieses Erlebnisses tastete ich mich dann auch auf meiner zweiten Offroadstrecke des Tages behutsam vorwärts. Die Geschwindigkeitsvorgabe würde ich sowieso nicht erreichen, dann konnte ich wenigstens noch den Gipfel des Tanzplans (Tanečnice) erklimmen (s. Track vom 13.05., km 57,3 - 59,0). Die Schotterpiste mit einigen Steilstücken ist durchaus anspruchsvoll und erfordert solides fahrerisches Können. Besonders viel Vorsicht ließ ich bei den vielen gemauerten Querrinnen zur Ableitung des Wassers mit ihrer Breite von ca. 10 cm walten. Einen Reifendurchschlag konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen! Selbst abwärts bremste ich jedesmal davor bis zum Stillstand ab. Der Weiterweg von Thomasdorf (Tomášov) über die Grenze bis zum Waldhaus von Hertigswalde (s. Track vom 13.05., km 61,2 - 62,9) war dann die letzte Gelände-Nervenschlacht des Tages.

Als ich gegen 14.45 Uhr zuhause ankam, berichtete Torsten schon ganz stolz von seiner Tour. Er hatte 115 km und 656 Hm mit einem 25er Schnitt absolviert. - Naja ...

Heute hätte ich eigentlich einen Ruhetag benötigt, doch für morgen sind Regenschauer angekündigt. Daher brach ich trotzdem auf, um wenigstens mein Minimalprogramm abzuspulen. So schlecht rollte es dann gar nicht, obwohl ich mich nicht mehr frisch fühlte. Aber immerhin hatte der Reizstrom, den ich meiner rechten Schulter noch im Bett verordnet hatte, offensichtlich gewirkt, sodaß ich im wahrsten Sinne des Wortes lockerer agieren konnte.

Eine erneute Flachetappe innerhalb von drei Tagen war mir zu doof. Wenn ich jedoch meine Höhenmeter im wesentlichen zu Beginn sammeln würde, hätte ich dann im zweiten Teil der Tour meine Ruhe. Die logische Schlußfolgerung dieser Betrachtungen hieß also: Fahrt ins Osterzgebirge.

Nach etlichen Anstiegen erreichte ich schließlich den Scheitelpunkt der Tour mit knapp über 650 m NHN auf dem von mir geliebten Radrundweg um Liebenau, den ich diesmal (bis auf die letzen 2,7 km) fast vollständig gefahren bin. Auch wenn nach Liebstadt und zum Schluß auf dem Extrazacken zur Ergebniskosmetik noch ein paar Höhenmeter dazukamen, lag nun der anstrengendste Teil hinter mir. Auf dem Heimweg gelang es mir, noch ein paar Meter gutzumachen, so daß ich zwar mein Wunschtempo nicht mehr schaffte, dennoch aber nicht ganz schlecht abschnitt. Vor allem, wenn man bedenkt, daß ich an diesem Wochenende nun nicht gerade in Topform war.

Und Torsten? Der fuhr heute gleich nochmal 100 km und 789 Hm mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 20 km/h!

Ich fasse noch mal zusammen. Torsten hat
- an diesem Wochenende seinen ersten Hunderter absolviert
- an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils mehr als 100 km bewältigt
- dabei Durchschnittsgeschwindigkeiten von 19, 25 und 20 km/h erreicht
Gibt es außer mir noch jemanden, dem sich da einige Fragen stellen?

Natürlich kann und soll jeder machen, was und wie es ihm beliebt! Genießer und solche, denen das Landschaftserleben oder der Spaßfaktor wichtiger als der sportliche Aspekt ist, gibt es doch auch unter Zweiradlern. Und ja: ein 1200-Watt-Motor verführt nun mal dazu, dessen Möglichkeiten voll auszureizen und so richtig auf die Kacke zu hauen. Mit Sport hat das allerdings m.E. nichts mehr zu tun, denn es ist eben weit mehr als ein Nachteilsausgleich.

Trotzdem steht nichts weiteren Touren mit Torsten entgegen - jedenfalls nicht von meiner Seite aus. Zumal ich den Eindruck hatte, daß er, als wir gemeinsam unterwegs waren, wirklich nur die Motorunterstützung zugeschaltet hat, die für ihn behinderungsbedingt sinnvoll war. Ich würde mich aber freuen, wenn er auf Solotouren auch sein normales Racebike nutzt, denn da muß er beim Tempo auf niemanden Rücksicht nehmen und ruft wirklich nur seine eigene Leistung ab.

Die Mischung macht's!

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