31. Dezember 2018

Je oller, desto doller

2018 bin ich 50 Jahre alt geworden und trotzdem immer noch kein bißchen zahmer. Im Gegenteil: die Saison geht als eine der erlebnisreichsten meiner gewiß nicht ereignislosen Handbikerlaufbahn in die Annalen ein. So viel herumgereist, wie in den vergangenen zwölf Monaten bin ich über's Jahr wahrscheinlich noch nie. Nach Italien und Südtirol, zu meinen bayerischen Freunden bei Augsburg, in das Dreiländereck von Schweiz, Frankreich und Italien, natürlich zu unseren polnischen und tschechischen Nachbarn und ganz zum Schluß noch einmal in nördliche Richtung an die deutsche Ostseeküste.

Leider wurde es diesmal zum ersten Mal seit langem nichts mit Skifahren zur Winterszeit, denn im heimatlichen Osterzgebirge gab es aufgrund der milden Witterung bis auf wenige Tage nie genug Schnee. Dafür startete das Tourenjahr gleich mit einer richtig verrückten Aktion. Als Test für die "Besteigung" der Schneekoppe im Riesengebirge waren mein Kamerad Lád'a und ich zunächst gemeinsam im Böhmischen Mittelgebirge mit meinem Geländerolli unterwegs. Nachdem sich der Gipfelsturm auf den Lobosch (Lovoš) beinahe als Kinderspiel erwies, versuchten wir uns an sprichwörtlich Größerem, nämlich dem Milleschauer (Milešovka). Er ist mit 836 m der höchste Berg des Mittelgebirges und eigentlich nicht mit dem Rollstuhl zugänglich. Wir haben es trotzdem geschafft!

Erstmals wieder nach vielen Jahren absolvierte ich in den Wintermonaten außerdem fast täglich ein ca. 30-minütiges Belastungstraining auf der Rolle zur Verbesserung der Kraftausdauer für meine geplante Unternehmung im Sommer. So zielstrebig war ich zuletzt bei meiner erfolgreichen Teilnahme am Styrkeprøven 2012.

Im Frühjahr ging es mit dem Handbike zweimal in den Süden. Zunächst fuhr ich mit meinen tschechischen Sportfreunden in die Toskana. Zur nunmehr schon traditionellen Saisoneröffnung war diesmal auch Lád'as Ehefrau Šárka mit von der Partie, die uns auf den gemeinsamen Touren um ganz neue Einblicke bereicherte. Visueller Höhepunkt und konditionell anspruchvollste Strecke war für mich in diesem Jahr meine Handbiketour nach San Gimignano. Vier Wochen später startete ich erneut in Richtung Süden. Mit meinen bayerischen Freunden Gitti und Toni sowie Ingrid und Albert hatte ich mich in Bozen zu einer Handbiketourenwoche verabredet. Für mich sollte dieser Urlaub auch die Nagelprobe in Hinblick auf mein Sommer-Großprojekt in den Alpen werden. Doch nicht nur ich war mit der Ausbeute dieser 8 Tage hochzufrieden, denn Toni durchbrach auf unserer Tour über Mendel- und Gampenpaß ebenfalls die magische Grenze von 100.000 km im Handbike.

Anfang Juni stand endlich die Schneekoppe (Sněžka / Śnieżka) auf dem Programm. Der einzige Weg, um mit dem Rollstuhl auf den mit 1603 m höchsten Berg des Riesengebirges zu gelangen, beginnt im polnischen Krummhübel (Karpacz). Auch wenn diese Wanderung bei weitem nicht so technisch anspruchsvoll wie unsere Tour im Böhmischen Mittelgebirge war, so erforderte sie vor allem von meinem Sportfreund Lád'a vollen Einsatz. Für die knapp 900 Hm auf 10 km Wegstrecke mußten wir sowohl bergauf, als auch abwärts unsere ganzen Kraftreserven mobilisieren.

Vor dem großen Saisonhöhepunkt stand noch eine Stipvisite nach Bayern an. Tonis Frau hatte mich als Überraschungsgast zum runden Geburtstag meines Sportfreundes eingeladen, und ich wollte die Gelegenheit gleich für ein, zwei gemeinsame Handbiketouren in ihrer Region nutzen. Besonders hat mir dabei unsere Tour ins Altmühltal gefallen, die für Gitti zugleich einen neuen Streckenrekord bedeutete.

Dann war es soweit. Ein Ziel, auf das ich jahrelang hingearbeitet hatte, sollte im Juli Wirklichkeit werden. Die 4-Etappen-Fahrt im Handbike rund um den Mont Blanc stellte als Ganzes alles in den Schatten, was ich bisher in den Alpen erleben konnte. Die konditionelle Herausforderung stundenlanger Paßfahrten, die Logistik, welche nur mit der Unterstützung durch Freunde zu bewältigen war, sowie die Erlebnisse entlang der Strecke und abends auf den Campingplätzen machten dieses Unternehmen zu etwas Einzigartigem. Und so liest sich das auch in meinem als Tourentagebuch gestalteten Reisebericht.

Gegen Ende des Jahres verbrachte ich noch eine Woche in Stralsund. Ursprünglich als Ruhetage ohne jede sportliche Betätigung gedacht, packte mich doch wieder der Ehrgeiz. Obwohl zwischen Sonnenauf- und -untergang weniger als 8 Stunden blieben, führte mich dabei meine längste Handbiketour auf die Insel Rügen bis zum Kap Arkona.

Neben den geschilderten Urlaubsaktivitäten habe ich als Tourenfahrer auch wieder einige lange Kanten - also Strecken über 200 km - in dieser Saison bewältigt. Zwar kann sich keine davon mit meiner Handbiketour nach Prag aus dem vorangegangenen Jahr vergleichen, doch die immerhin vier Ausfahrten ins Lausitzer Seenland, bis kurz vor Marienberg im Erzgebirge, nach Theresienstadt (Terezín) sowie zum Kahlstein (Lysá skála) erschlossen mir wieder einige neue Gebiete.

Leider gab es im Jahr 2018 auch ein unschönes Erlebnis, welches einige Wellen schlug. Ein selbsternannter "Extremsportler" kündigte vollmundig an, 1000 km nonstop mit dem Handbike in neuer Rekordzeit zu fahren, obwohl er in der Szene bisher noch nie mit Langstreckenfahrten von sich reden gemacht hatte. Das löste nicht nur bei mir eine ziemlich eindeutige Reaktion aus, zumal er im ersten Versuch des Vorjahres bereits nach 113 km krachend gescheitert war. Dieser Mensch verwickelte mich infolgedessen in eine juristische Auseinandersetzung, die schließlich mit einem Vergleich endete. Ich hatte nämlich weder Zeit, noch Nerven, noch den entsprechenden themenspezifischen anwaltlichen Fachverstand zur Verfügung, um den Kläger in die Schranken zu weisen. Nicht zuletzt spielte dabei ein weiteres Mal (nach dem Unfalltod meiner Mutti) der "deutsche Rechtsstaat" eine unrühmliche Rolle. Dem juristischen Rundumschlag dieses gescheiterten Rekordfahrers fiel leider auch das beliebte Internetportal Handbike.de zum Opfer, in dessem Forum die ursächliche Diskussion stattgefunden hatte. Verständlicherweise entschieden die ehrenamtlich tätigen Macher, die Seiten stillzulegen, nachdem sie für etwas belangt wurden, wofür sie gar nicht verantwortlich waren. Letzten Endes hat dieser Behinderte damit nicht nur sich selbst geschadet, sondern auch den vielen HandbikerInnen, für die Handbike.de eine Quelle des gegenseitigen Austauschs und der Inspiration war.

Aus heutiger Sicht kann ich jedenfalls Herrn G. nur bedauern. Wahrscheinlich ist das tatsächlich irgendein einsamer Rollstuhlfahrer, der sich auf diese Art und Weise etwas Beachtung erhofft. Ohne Freunde, ohne Spaß am Dasein und ohne solche motivierenden Begegnungen, wie ich sie beinahe tagtäglich erlebe. - Mit diesem Menschen möchte ich nicht tauschen!

Wer bis hierher durchgehalten hat, muß nun auch noch die trockene Statistik der für mich herausragenden Handbikesaison über sich ergehen lassen. Auf 116 Touren habe ich fast 13.145 km zurückgelegt und dabei mehr als 141.000 Hm überwunden. Heruntergerechnet auf einen einzigen Kalendertag des Jahres 2018 sind das durchschnittlich 36 km und 386 Hm. Oder aber 252 km und 2700 Hm pro Woche ....  Seit Ende 2006 kamen damit bereits über 131.000 km in meinem Schmicking-Handbike zusammen. Ich fahre übrigens immer noch mit der ersten Rohloff-Getriebenabe.


Vielleicht hätte ich in der Gesamtbilanz sogar am nächsten Tausender kratzen können, wenn ich nicht im August so drastisch ausgebremst worden wäre. Da verdammten mich zwei kleinere offene Hautwunden im Sitzbereich zu 2½-wöchiger Untätigkeit in der Horizontalen. Glücklicherweise ist mein Körper so robust, daß solche Verletzungen bei konsequenter Behandlung durch meine fachkundige (Kranken-)Schwester relativ schnell und gut verheilen. Aber eben auch das gehört zu meinem Tourenjahr.

Mein allerbester Freund Lád'a sagte mir vor wenigen Tagen, als wir uns über Weihnachten trafen, daß all das, was ich im Jahr 2018 erleben durfte, bei manchen Leuten wohl für ein ganzes Leben reichen würde.

Ich glaube, er hat recht.

Strava-Video: Mein Sportjahr 2018

1 Kommentar :

Láďa hat gesagt…

Neuvěřitelné! Amazing! Wow!